Die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999

( Ein persönlicher Erlebnisbericht )

Die Vorbereitungen für diesen Tag

Der Beobachtungsplatz
Schon einige Tage vor dem 11. August 1999 lieferte mein Bruder Franz eine Straßenkarte von Österreich, in der er die Totalitätszone genau eingezeichnet hatte. Daraus waren die Totalitätszeiten für jeden betroffenen Ort in Österreich exakt bestimmbar. Nun wurden zwei Zielgebiete nahe der Zentrallinie ausgesucht. Je eines im Westen und Südosten von Österreich. Ab dem 9. August 1999 wurde aber immer klarer, dass der Westen als Beobachtungsgebiet eine zu hohe Wetterunsicherheit bieten würde. Daher habe ich von einem 50 km x 50 km großen Gebiet im Burgenland genaue Karten angefertigt, auf denen alle Feldwege, Wälder und Höhenlinien eingezeichnet waren. Dieses Kartenwerk lag nun 1 m x 1 m groß vor mir. So konnte ich einen guten Beobachtungsplatz aussuchen. Rechnitz im Burgenland lag genau auf der Zentrumslinie. Die Entscheidung fiel auf einen Hügel etwa 2 km südlich von Rechnitz (Position 47° 17' 16" Nord - 16° 26' 09" Ost und 307m NN) . Die Zufahrt sollte von einer Straße über einen 600 m langen Feldweg problemlos möglich sein. Durch die genaue Karte hätte ich bei Bedarf auch noch vor Ort rasch einen anderen Beobachtungsplatz aussuchen können.
 
Der Fotoplan
Nachdem ich in den Wochen zuvor schon einige Probefilme mit meiner Fotoausrüstung belichtet und die Erfahrungen mit diversen Belichtungstabellen verglichen hatte, konnte ich einen genauen schriftlichen Fotoplan für die 3 Stunden der Sonnenfinsternis festlegen. Um ganz sicher zu gehen, wurden für jedes Foto in der partiellen Phase 4 verschiedene Belichtungszeiten geplant. In Summe ergaben sich daraus über 100 Bilder von der Sonnenfinsternis. Am Vortag der Finsternis wurde dann der rasche Ablauf für die Totalitätsfotos mit der Ausrüstung noch mehrmals geübt.
 
Die optische Ausrüstung
Fernglas Fujinon 16x70 FMT-SX auf Stativ Manfrotto 075 mit Getriebeneigekopf 410 und Selbstbauhalterung mit Objektivsonnenfilter.
Fernglas 10x50 mit Objektivsonnenfilter.
Kamera Minolta Dynax 7000i auf Stativ Manfrotto 055.
Objektiv Minolta AF 100 - 300 mm (Ein geplanter Konverter auf 600 mm Brennweite war leider kurzfristig nicht verfügbar).
Objektiv Minolta AF 28 - 135 mm.
Fuji Dia-Filme (ISO 100 - 1000) jeweils in ausreichender Menge.
Finsternisbrillen mit unterschiedlichen Schutzfolien für alle 5 Beobachter(innen).
Diverses Material, um auch vor Ort einen defekten Objektivsonnenfilter ersetzen (bauen) zu können.
 

Mittwoch, 11. August 1999 - Tag der totalen Sonnenfinsternis

05h30
Aktuelles Satellitenbild per Internet geholt und Wetterbericht aus dem Radio gehört. Was alle befürchtet hatten, war tatsächlich eingetreten: In Mitteleuropa generell schlechtes Wetter mit Aussichten auf kurzzeitig lokale Wolkenlücken. Die besseren Aussichten wurden jedoch wie vorhersehbar für den Osten angekündigt.

 
06h00
Da die Ausrüstung schon am Vorabend im Wagen verstaut wurde, konnte die Tagesreise mit dem PKW in aller Ruhe losgehen. Meine Frau Doris, unsere Kinder Cornelia und Daniel sowie mein Neffe Michael und ich machten uns auf den 320 km langen Weg nach Rechnitz im Burgenland.

 
06h45
Erste Handykontakte mit meinen Brüdern. Alle hatten mit ihren Familien ebenfalls Beobachtungsgebiete im Südosten von Österreich gewählt und waren auch schon auf dem Weg. Berichte über Wetter- und Verkehrsituationen wurden ausgetauscht. Die Verkehrssituation war aufgrund der Tageszeit anscheinend überall noch normal und das Wetter wechselte je nach Position von sonnig bis regnerisch.

 
07h00
Aus dem Waldviertel wurde Wien großräumig über Krems - St. Pölten - Alland - Helenental - Baden umfahren.

 
08h30
Kurz nach der Auffahrt auf die Südautobahn bei Baden wurden im Verkehrsfunk schon große Staus in Wien und auf den Südausfahrten von Wien gemeldet. Hinter uns entwickelte sich anscheinend das totale Verkehrschaos. Wir konnten unsere Fahrt auf der Südautobahn in zunehmenden Verkehr aber ungehindert bis zur Abfahrt Pinkafeld fortsetzen.

 
09h45
Bei der Durchfahrt von Pinkafeld erstmals ein kleiner Stau von etwa 10 Minuten. Dabei konnten wir in Pinkafeld auch die letzten Vorbereitungen zu einer der an diesem Tag zahllosen SOFI-Veranstaltungen beobachten. Wir bedauerten die vielen versammelten Menschen, die anscheinend glaubten, das nahezu einmalige Naturschauspiel einer totalen Sonnenfinsternis in einem lauten Spektakel bewundern zu können.

 
10h30
Ankunft auf dem geplanten Beobachtungsplatz. Obwohl ich nie zuvor in dieser Gegend war, kam mir die Umgebung irgendwie vertraut vor. Die Vorbereitung und das genaue Kartenmaterial machten sich nun also doch bezahlt. Der Platz und die Aussicht entsprachen genau meinen Erwartungen. Der Himmel war wolkenfrei und entsprechend gut daher die Stimmung. Obwohl wir auf den letzten 25 km immer wieder kleinere, aber auch größere Beobachtergruppen sahen, hatten hier nur 2 jugendliche Beobachter in 200 Meter Entfernung ihren Beobachtungsplatz schon vor uns gefunden. Da an unserem Standort (Position 47° 17' 16" Nord - 16° 26' 09" Ost und 307m NN) der erste Kontakt der Mondscheibe mit der Sonnenscheibe erst um 11h24 MESZ erfolgen würde, konnte nun die gesamte Ausrüstung in Ruhe aufgebaut werden. Danach wurde nochmals mit den anderen Familien und meinem Vater telefoniert. Alle hatten ihren Standort erreicht und hofften auf gutes und beständiges Wetter.

 
11h00
In 50 und 100 m Entfernung waren noch zwei weitere Beobachtergruppen aus Wien und Wien-Umgebung mit 2 PKW eingelangt. Dies sollten alle Beobachter außer uns bleiben. Einem von Menschenmengen und Lärm verschonten und daher ungestörten Erlebnis stand also nichts mehr im Weg.

 

Die Sonnenfinsternis beginnt

11h25
Die erste Fotoserie kurz nach dem ersten Kontakt. Der Blick durch das Fujinon mit Filter zeigte auch schon den Mond am rechten oberen Sonnenrand und etwas darunter einige Sonnenflecken. Das Ereignis hatte auf die berechnete Sekunde genau begonnen. Da ich schon mehrmals partielle Sonnenfinsternisse beobachtet hatte, war diese Phase der Finsternis für mich noch nichts Aufregendes. Ein Blick nach Westen und Norden zeigte jedoch in etwa 25 km Entfernung Bewölkung, was zu leichter Sorge veranlasste.

 
12h15
Leichte Schäfchenwolken erreichten unseren Standort. Diese stellten aber noch kein ernstes Sichtproblem dar. Die von Westen nachkommende Wolkendecke jedoch schien wesentlich dichter zu werden. Diese Wolkendecke würde aber voraussichtlich einen Standort, der 15 km südlicher gelegenen ist, bis zur Totalität nicht erreichen. Nun war der Zeitpunkt einer Entscheidung gekommen. Standortwechsel nach Süden oder auf Wetterglück hoffen und bleiben? Während wir aufgrund der Verkehrssituation und der fortgeschrittenen Zeit auf einen Standortwechsel verzichteten, fuhr eine andere Gruppe mit einem PKW Richtung Süden davon. Ein großes blaues Wolkenloch in etwa 15 km Entfernung veranlasste mich zu der eher scherzhaft gemeinten Bemerkung: "Dieses Wolkenloch kommt genau zur Totalität zu uns".

 
12h40
Die Sonnensichel war nur mehr ganz schmal, und es war bereits erheblich dunkler als normal. Die ersten 36 Bilder der partiellen Phase waren gemacht, und es erfolgte kurz vor der Totalität - wie geplant - schnell der erste Filmwechsel. Die Bewölkung hatte bisher andauernd von fast klar bis zu stärkeren Schäfchenwolken gewechselt. Aber "unser" blaues Wolkenloch hatte unseren Standort tatsächlich schon fast erreicht.

 
12h43 - 12h50
Unglaublich, das Wolkenloch hatte uns tatsächlich erreicht! Wir hatten klaren Himmel. Ab nun ging alles sehr schnell. Eigentlich viel zu schnell, um alle Eindrücke bewusst verarbeiten zu können. Hier der Versuch einer annähernden Schilderung:
 

Die Totalität - eigentlich unbeschreiblich

Mit unserer Ruhe war es endgültig vorbei. Was nun ablief, übertraf alles, was ich bisher von einer totalen SOFI erwartet hatte. Und ich habe vorher viele Augenzeugenberichte gelesen und gute Filmeberichte gesehen. Aber nun war mir mit einem Schlag klar: Die meisten hatten in ihren Aussagen einen gravierenden Fehler gemacht. Es fehlte der Hinweis, dass man trotz genauer Kenntnis über Ablauf und Erscheinungen einer totalen SOFI von der Realität bei klarem Himmel förmlich überwältigt sein wird! Und so kann jeder Versuch einer Schilderung eben nur ein Versuch bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man auch diesen Bericht lesen.
 
Von Westen breitete sich eine dunkle Glocke über das Land. Der Horizont erschien fast gelblich und darüber hatte der Himmel eine ungewohnte, violette Färbung, die zum Zenit hin immer schwarzgrauer wurde. Dies war eine Art von Dämmerung, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Wir empfanden eine eigenartig schöne Unheimlichkeit beim Rundblick, und es schien, als würde man selbst und alles rundherum langsam unter eine dunkle Glocke gestellt. Man fühlte förmlich die Mächtigkeit der Natur gegenüber den Menschen. Dieses Gefühl dauerte fast 2 Minuten und erklärt wahrscheinlich auch die große Angst, die unwissende Menschen bei einer totalen Sonnenfinsternis befällt. Dabei war noch immer die bereits extrem schmale Sonnensichel zu sehen. Plötzlich lag ein unheimliches Flimmern vor unseren Augen und auf den umliegenden Bodenflächen. Das mussten die berühmten "fliegenden Schatten" sein. Nach wenigen Sekunden dieser Eindrücke erinnerte ich mich wieder an meinen Fotoplan. Den Perlenschnur-und Diamantringeffekt wollte ich ja auch fotografieren. Aber bevor ich dazu kam, hatte die Natur eine weitere Steigerung parat.
 
Es wurde innerhalb von Sekunden so dunkel wie in einer Vollmondnacht (12h45m59s), und weitere 2 Sekunden später leuchtete die Sonnenkorona in voller Pracht am Südhimmel auf. Etwas derartig Schönes und Bewegendes hatte bisher keiner von uns in der Natur gesehen. Wie ein schwarzes Auge am Himmel oder ein Loch in den Weltraum wirkte die vom Mond überdeckte Sonnenscheibe. Die plötzliche Stille einer Nacht legte sich über uns und wir staunten vorerst sprachlos in den Himmel. Die Korona schien hell am Sonnenrand und verlief nach außen ringförmig, leicht ausgefranst bis zur Dunkelheit, die uns ringsum umgab. Plötzlich der Ruf: "Was ist das Rote am Sonnenrand?". Unglaublich, einige rote Protuberanzen waren tatsächlich mit freiem Auge erkennbar. Schnell zum Fujinon-Fernglas und den Sonnenfilter abgenommen. Diesen Fernglasanblick der Protuberanzen in der Korona werden wir nicht mehr vergessen. Fadenartige, fleckenförmige und einige bogenförmige, auf die Sonnenoberfläche bereits wieder zurückstürzende Protuberanzen waren zu bewundern. Während die Anderen durch das Fernglas schauten, machte ich nun schnell meine geplante Fotoserie von der Totalität. Gleichzeitig konnte ich die Planeten Venus und Merkur nahe an der Sonne sowie die hellsten Sterne am dunklen Taghimmel sehen. Hinter uns, in Richtung Norden, sah man unzählige Fotoblitze, die in Rechnitz in den Himmel geschossen wurden. Ansonsten war rundherum von der Landschaft durch die Dunkelheit kaum etwas zu erkennen.
 
Erst nun, mit der Fortdauer der Totalität in die zweite Minute, registrierte man langsam Details an dem, was man da gerade erlebte. Nach und nach befreiten sich die Sinnesorgane etwas von dieser herrlich schönen Fülle der Eindrücke. Und langsam kam aber damit auch das Bewusstsein hoch, dass schon in wenigen Sekunden dieser herrliche Anblick für immer vorbei sein würde. Genauso exakt wie der Beginn der Finsternis eingesetzt hatte, genauso exakt und unbarmherzig würde auch das Ende der Totalität in wenigen Sekunden eintreten. Und dann war es wirklich fast soweit. Ich stellte mich neben das Fujinon-Fernglas, um darauf zu achten, dass niemand mehr durchblickte. Mein Sohn Daniel machte gerade seine letzten Beobachtungen, als ich nach einem Blick auf den linken Sonnenrand erkannte, dass die Sonnensichel in wenigen Sekunden wieder durch ein Mondtal zum Vorschein kommen würde. Der Fernglas-Sonnenfilter wurde aufgesetzt und fast zugleich (12h48m21s) kam der Diamantring, und es wurde genauso schnell hell wie es zuvor dunkel geworden war. Nun mussten wir wieder durch unsere Schutzbrillen auf die noch sehr schmale Sonnensichel blicken.
 
Jetzt erst wurden so nach und nach die Erlebnisse der letzten Minuten von allen kommentiert und Gesehenes geschildert. Viele Details sollten uns erst nach einiger Zeit wieder ins Bewusstsein gelangen. Zuviel und zu stark waren die Eindrücke gewesen, um sie gleich anschließend genau wiedergeben zu können. Glücksgefühl über das Gesehene vermischte sich dabei auch mit der leichten Entäuschung, dass die Natur ein so großartiges Schauspiel so kurz und nur so selten gestattet. Gleichzeitig kamen mir auch die vielen Menschen in den Sinn, die schlechte Sicht hatten oder jene, die trotz der Möglichkeit, dieses Schauspiel zu erleben, freiwillig darauf verzichtet hatten. Glücklicherweise wissen letztere nicht, was sie da freiwillig versäumt haben, und die meisten werden es wohl auch niemals erfahren. Denn keine Dokumentation ist in der Lage, dieses gewaltige und schöne Erlebnis einer totalen Sonnenfinsternis bei klarem Himmel auch nur annähernd zu vermitteln.
 

Die letzte Phase der Finsternis

12h50
Nun sah man mit den Schutzbrillen bereits, wie die schmale Sichel der Sonne wieder breiter wurde. Nachdem ich auch diese Phase der Finsternis fotografiert hatte, erfolgte der zweite Filmwechsel. Mit diesem dritten Film würde ich in Ruhe den restlichen Teil der Finsternis fotografieren können.
 
12h55 - 14h10
Schon bald nach der Totalität konnten wir in der ferneren Umgebung sehen, wie sich die Straßen mit Autos füllten. Anscheinend hatten nun die meisten nicht mehr das Interesse, diese Finsternis auch bis zum Ende zu beobachten. In diesen restlichen 75 Minuten machte ich noch im Abstand von 15 Minuten meine restlichen Fotos. Dabei fand ich nun endlich auch die Zeit, einige Bilder von unserem Standort zu machen.
 
14h10
Das unvergleichliche Erlebnis war nun endgültig vorüber. Der Mond hatte den Blick auf die Sonne wieder völlig freigegeben. Langsam wurde nun die Ausrüstung wieder im Auto verstaut und wir machten uns um etwa 14h30 ebenfalls auf den Heimweg.
 

Die sehr lange Heimreise

14h30 - 22h00
Trotz unserer späteren Abreise kamen wir gleich am Beginn unserer Rückreise in Oberwart in einen Stau vor einer Baustelle. Dieser Verzögerung sollte eine noch viel längere auf der Südautobahn folgen. Dort war der Grund leider ein Unfall mit mehreren Autos in einem Tunnelbereich. Dadurch hatten wir fast 2 Stunden lang Gelegenheit, auf einem mehrere Kilometer langem "Autobahnparkplatz" über die Sonnenfinsternis zu plaudern. Auch die restlichen Kilometer auf der Autobahn gingen dann bis Baden nur in langsamer Fahrt dahin. Um etwa 19h30 entschlossen wir uns, im geschichtsträchtigen Ort Mayerling zu einem Abendessen in einem netten Gasthaus. Um 22 Uhr waren wir müde, aber noch voller Begeisterung über das Erlebte wieder zu Hause. Damit ging für uns ein unvergesslicher Tag zu Ende.
 
Was uns blieb, sind viele Fotos, dieser Bericht mit hoffentlich noch recht langen Erinnerungen an dieses herrliche Erlebnis und die feste Absicht, dass diese totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999 nicht die einzige und letzte "totale" gewesen sein wird, die wir gesehen haben.
Gerhard Dangl im August 1999
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24. Dezember 2001
Fragen und Anregungen an => Gerhard Dangl

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